Natur und Industriekultur im Dialog
Ilka Meyer zeigt ihre Diplomarbeit "Pflanzstück" im alten
Getreidespeicher des Mainzer Zollhafens
MAINZ.Die Überraschung setzt ein, wenn man das oberste Stockwerk
in der Lagerhalle des Zollhafens erreicht. Über 700 verschiedene
Pflanzenstauden bieten sich dem Auge des Betrachters in dem etwa 400
Quadratmeter großen Lagerraum dar. Ein Stück unverfälschte Natur mitten in
der funktionalen Nüchternheit des Zollhafens, eine idyllische Insel,
abgelöst vom architektonischen Umfeld?
Nein, so einfach hat es sich Ilka Meyer mit ihrer Installation
"Pflanzstück" nicht gemacht. "Wenn die Besucher hereinkommen, sollen sie
merken, dass hier etwas nicht stimmt", meint sie. Etwa, dass die zuerst
verwildert wirkenden Pflanzen streng in geometrischen Reihen angeordnet
sind und in den Plastikkübeln wie zum Abtransport bereitstehen. Wie sich
das für eine Ware im Umschlagplatz Zollhafen eben gehört.
"Pflanzstück" ist Ilka Meyers Diplomarbeit im Studiengang "Freie
Bildende Kunst" an der Mainzer Akademie der Bildenden Künste. In
monatelanger Arbeit hat die Künstlerin die Pflanzen selbst herangezogen -
Wermut, Salbei, Minze, Beifuß und viele andere. Von größter Wichtigkeit
ist für Meyer der Bezug zu Architektur und Funktion der Lagerhalle, deren
übrige Etagen ja noch genutzt werden.
Natur und Industriekultur sollen nicht als unüberbrückbare Gegensätze
gesehen, sondern in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung betrachtet werden:
"Der Raum und die Objekte sind nicht zu trennen", so Meyer. Deswegen
vollzieht die Anordnung der Pflanzen in der Größe etwa auch die an- und
absteigende Linie der Decke nach. Und die Funktion des Raumes als
wirtschaftlicher Umschlagplatz legt nahe: Hier handelt es sich nicht nur
um Natur, sondern auch um ein ökonomisches Produkt, das zur Einreihung in
die Warenkette bestimmt ist.
In einer kurzen Einführung zur Abschlussarbeit seiner Studentin wies
Prof. Ulrich Hellmann bei der Ausstellungseröffnung auf einen
interessanten architektonischen Aspekt der Lagerhalle hin: Die spezielle
Betonträgerkonstruktion des Raumes weise mit ihrem fließenden Übergang von
Balken und Säulen von sich aus schon pflanzlich-organische Formen auf.
Auch hier also keine strikte Gegenüberstellung von Natur und
Industriekultur. Auf die Frage, was sie denn nach der Ausstellung mit den
Pflanzen mache, hält sich Ilka Meyer allerdings noch zurüvk. Nur so viel
will sie preisgeben: "Es passiert auf jeden Fall noch was mit ihnen."
Oliver Mayer
Bis zum 16. September täglich von 11 bis 18 Uhr.
http://rhein-zeitung.de/archiv/03/09/10/z/lok/00000123.html
vom 10.09.2003
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