Vornmoor / Meyer

Von Rainer Beßling, Kunstkritiker und Kulturjournalist

Rede zur Ausstellungseröffnung im Kunskreis 'Die Wassermühle' Lohne e.V., September 2012

 

Kerstin Vormoor und Ilka Meyer stellen erstmals gemeinsam aus.
Es gibt ein biographische Verbindung: Beide Künstlerinnen haben in Berlin gewohnt. Beide hat‘s in die Provinz verschlagen. Aber natürlich gab es auch ästhetische Erwägungen, sie zusammenzubringen. Die anregungsreiche Präsentation bestätigt das kuratorische Konzept.

Schon hier im unteren sechseckigen Raum ist eine besonders einnehmende Atmosphäre entstanden. Gespeist wird sie von der spezifischen Architektur und der räumlichen Wirkung der Exponate. Entstanden ist eine Art grüner Dom. Bilder und Nachklänge von Natur begegnen einem Klima von Spiritualität. Waldkulisse und meditative Ruhe vermischen sich, man könnte auch sagen, eine Art profaner Andachtsraum ist entstanden, der einerseits in sich geschlossen wirkt und andererseits Blicke und Gedanken weitet, sowohl in die Außenwelt als auch nach innen. Eine spannungsvolle Stille bestimmt diesen Ort. Dichte und Weite treffen aufeinander. Gelungen ist ein programmatischer Auftakteindruck für eine Ausstellung, die auf intensive Weise mit Kontrasten und Korrespondenzen spielt.

Reihung, Entfaltung, Wucherung, Schichtung - was Ilka Meyer und Kerstin Vornmoor thematisch und ästhetisch verbindet, ist die Beschäftigung mit seriellen Bildelementen und wiederkehrenden Motiven. In der Verknüpfung verschiedener künstlerischer Verfahren entstehen vielschichtige Kompositionen mit zahlreichen Inhaltsebenen und Assoziationsräumen. Ornamentale Muster treten in einen Dialog mit dem Nachhall von floralen Wucherungen. Liniengewebe ballen sich objekthaft, schichten sich auf und greifen in den Raum aus. Differenz und Variation spielen sich zu, Untergründiges und Verborgenes schimmern durch, in der Wiederholung entsteht Neues.

llka Meyers künstlerische Arbeit basiert auf einem frühen und anhaltenden Interesse für die Natur. Was sie vor allem beschäftigt, sind Vergleiche, Analogien und Brüche zwischen Natur und Kultur beziehungsweise Zivilisation. Die Bionik, die Erfindungen belebter Natur für die Lösung von technischen und zivilisatorischen Problemen zu nutzen versucht, fasziniert die Künstlerin lange schon. Bekanntlich gilt ja auch ein Künstler als Vaterfigur dieser Disziplin: Leonardo da Vinci hat die Erkundung des Vogelflugs in die Konstruktion seiner Flugmaschinen einfließen lassen wollen.

 

Aber auch Erkenntnistheoretisches treibt Ilka Meyer um: In ihren subtilen Formfindungen reflektiert sie unsere Wahrnehmung und Erfahrung. Zentrale Themen sind die Formen und Verläufe unseres Denkens, Sinnstiftung und die Gestaltung unserer Lebensräume. In der Auseinandersetzung mit pflanzlichen Erscheinungsformen und Wachstumsprozessen richtet sie ihr Augenmerk besonders auf Struktur und Organisation von Natur, daraus entwickelt und befragt sie Analogien. In der Natur gibt es durch evolutionäre Prozesse veränderte, optimierte Strukturen und Verläufe. Fehler oder Unstimmigkeiten lassen etwas Neues entstehen. Dies thematisiert Ilka Meyer in ihren Arbeiten, indem sie selbst die gestalterische Potenziale des Fehlers und der Abweichung nutzt und diese für Neubetrachtungen einsetzt. So wie die Natur nicht aufhört, sich zu entfalten, gehört es zu den Grundantrieben des Menschen, Wirklichkeit umzubauen, zu erneuern, weiter wachsen zu lassen. Ein zentrale Frage ist wie und wohin.

Mit Verfahren, die auf Zufälligkeiten, Nebenwege, Beiläufiges und das Potenzial des Fehlerhaften setzen, schafft die Künstlerin eigene Bildwelten und reflektiert zugleich in produktiver Wendung bestehende Wirklichkeitsstrukturen.

 

In ihrer Fotografie „Waschbecken“ dokumentiert sie die Lebens- und Überlebenskunst von Flechten. Wie Netze, Gewebe, Gespinste oder Rhizome breiten sich die Gebilde aus. Pflanzliche Wucherungen und Anlagerungen erobern die funktionalen Apparaturen, mit denen sich der Mensch die Stoffe in seinen abgeschirmten zivilisatorischen Lebensraum holt, mit denen er seinen elementaren Bedarf decken kann. Natur siedelt sich in neuen Räumen an, eignet sich diese an, holt sich auch in Stadträumen an den Menschen verloren gegangene Räume wieder.

Im urbanen Kontext stellt die Künstlerin der Architektur Ballungen von Naturprodukten gegenüber. Im Kunstraum lässt sie zeichnerische Muster in Kopierverfahren wuchern und stellt organische Entfaltung und Raumbehauptung konstruktiven Verfahren und Raumbesetzungen gegenüber.

Im „Pflanzstück“ erinnert sie daran, wie Menschen Natur an einen anderen Ort transportieren, um so eine künstliche organische Welt, eine neue oder zweite Heimat zu schaffen, um damit vielleicht auch einen Anschluss an archaische Lebensräume zu halten. Im Anpflanzen, Fortpflanzen, Umpflanzen, Weiterpflanzen sieht sie ein Urbedürfnis. Zugleich verweist sie damit, dass permanentes Entwickeln und stetig neue Raumbehauptung fundamentale Daseinsbewältigungen darstellen.
Dinge von einem Kontext in den nächsten zu tragen, bedeutet nicht zuletzt auch, individuell und aktiv eine neue Welt zu errichten. Solche Gestaltungsmaßnahmen sind zu Raritäten in einer von zivilisatorischer Normierung geprägten Lebenswelt geworden.

Die angeblich wilde Vegetation, das anarchische Wuchern, die freie ungebändigte Entfaltung bindet Ilka Meyer an den kulturellen Kontext zurück.
In ihren Arbeiten spiegelt sich wider, dass wir mit der Optik des Kulturmenschen auf die Natur schauen. Natur ist nicht unschuldig, nicht unbefleckt. Was wir als Naturraum idealisieren und nicht selten romantisch verklären, ist längst Kulturraum.
Natur ist ein Konstrukt und Artefakt menschlichen Denkens und Handelns.

Nicht zuletzt veranschaulicht Ilka Meyer gerade an Zufälligem, Übersehenem, Randständigem, wie Verfremdungen und Kontextverschiebungen eine neue Wirklichkeit schaffen, die von Inspiration und Imagination gespeist wird.
Zu ihrer Nordwand hat sie die Küstenregion angeregt.
Die grafische Formation der kultivierten Naturlandschaft in der norddeutschen Tiefebene lässt den Weitblick bei längerer Betrachtung wie zu einer Wand aufklappen. Der Raum wird zum Bild, das als Portal für eine weiteren Tiefenraum funktionieren kann. Eine Szene verrutscht, der Betrachter wird aus der vertrauten Wahrnehmung gerissen. Mit der produktiv zum Nachdenken anfeuernden Irritation verbindet sich der Impuls zur Neuorientierung.

Auch Formen und Strukturen der Erinnerung werden so reflektiert:
Erinnerung ist ein Prozess des situations- und umgebungsabhängigen Wiederaufrufs von Erfahrung und Wissen. Entfalten, überlagern, schichten,
Erinnern heißt, Erlebtes einer ständigen Überprüfung zu unterziehen.

 

 

Kerstin Vornmoor: Bildobjekte, Serigrafien, Fotografie und Installation

Kerstin Vornmoors Bilder vermitteln im ersten Zugang und aus der Entfernung den Eindruck monochromer Flächigkeit und nahezu greifbarer Präsenz. Ein farblicher Grundklang wie in einer Bildtafel der konkreten Malerei bestimmt die Wahrnehmung. Eine solche Komposition aus Farbstofflichkeit wirkt in den Raum hinein, verstrickt den Betrachter in einen Dialog, der weniger inhaltlich motivisch geprägt ist, als atmosphärisch bestimmt. Nicht Lektüre oder Entschlüsselung eines Bildinhalts lenken und prägen den Blick, sondern Versenkung und innere Versammlung.

Erst der nähere Blick lässt ein bewegtes grafisches Innenleben im Farbklang und Bildklima erkennen. Diese Binnenzeichnung genau zu erschließen, fällt schwer. Vieles ist überlagert, entweder von der Farbhaut oder von anderen Lineaturen. Bisweilen ist Körperhaftes zu identifizieren, doch Figurenteile sind von anderen grafischen Fragmenten überlagert. Gegenständliches und Zeichenhaftes treffen und vermengen sich. Die zugleich eingeschleust und eingeschlossen anmutenden Figuren und Figurenensembles schimmern neben Tierdarstellungen, Ikonen und Ornamenten vom Grund des Bildes. Die Zeichnungen stellen Verbindungen aus Gesehenem und Imaginärem dar. Ein mythisch überformtes, ins Surreale, Symbolische und Unterbewusste ausgreifendes Ensemble legt die Künstlerin in verschiedenen Varianten als Fond ihrer Bilder an. So wirken die Bilder nicht nur atmosphärisch in den Ausstellungsraum hinein, sondern entwickeln auch einen Sog in eine eigene verschlungene und schillernde artifizielle Bildräumlichkeit.

Was wie monochrome oder wolkig abstrakte Malerei erscheint, ist Druckgrafik auf Leinwand, die zu einer Installation anwächst. In mehreren Druckstufen schichtet die Künstlerin ihre filigranen Figurenensembles und zeichenhafte Rapporte übereinander. Mit dem Pinsel bringt sie die Ölfarbe mittels Siebdrucktechnik auf den Bildträger. Das Druckverfahren übersetzt Körperlichkeit in stilisierte Lineaturen.

Die figurativen Zeichnungen, die das künstlerische Schaffen Kerstin Vormoors von Beginn an bestimmen, bilden nicht nur buchstäblich die Ausgangslage, sondern verändern sich, entwickeln sich, mutieren zu immer neuen linearen Gebilden. Das Verfahren scheint die Entwicklung zum Zeichenhaften, die Ablösung der Komposition vom Gesehenen, das Filtern und Destillieren von Struktur und Wesenhaften aus der Figur mit abzubilden. Damit wird der Prozesscharakter, werden Entfaltung und Entwicklung sinnfällig, und der Faktor Zeit mischt sich zu Linie, Fläche und Raum.

„Malerei ohne Malerei“ hat jemand diese Kompositionen genannt. Malerisches auf technisch bedingtem Umweg, könnte man auch sagen. Vielleicht ist es auch ein Umkreisen der Malerei, in dem das Genre mit all seinen Kompositionsmustern und Wahrnehmungskonventionen befragt wird. Die Konturen der Zeichnung, die Grate und Riefen der Farbmaterie in ihrer reliefartigen Struktur treten vom Lichteinfall abhängig mehr oder weniger deutlich hervor. Die Bildzusammenhänge changieren, das Verhältnis von Figuration und Abstraktion bleibt im Fluss.
Mal tritt ein Anschluss an die gegenständliche Welt und Wirklichkeit mehr in den Blick, mal steht ein eigener Kunstraum gegenüber, mal wirken die Bilder abgeschlossen von der Realität, mal als ein starker Echoraum, in der die Wirklichkeit umso klarer und eindringlicher nachklingt.

 

Es gehe ihr nicht um Malerei, es gehe ihr um das Verhältnis von Zeichnung und Raum, sagt Kerstin Vornmoor selbst. Damit weist sich die Künstlerin als eine Bildermacherin aus, die die problematischen Voraussetzungen des Bildermachens reflektiert und die Probleme und Hemmnisse der Wahrnehmung mit dazu.
Indem sie Rollen aus Druckvorlagen wie Säulen in den Raum stellt, schafft sie eine skulpturale Korrespondenz zu den Bildtafeln und erzielt somit eine größere Raumwirkung. Die Säule lädt zum Umlaufen ein, sie besitzt eine große Präsenz und Behauptungsmacht. Sie begegnet dem Betrachter auf Augenhöhe,
ruft eine andere Form der Wahrnehmung, eine größere Wahrnehmungsintensität hervor. Sie ermöglicht eine andere Wahrnehmung und Beachtung des Bildes.

In ihren jüngsten Arbeiten lässt Vornmoor ikonische Motive aus dem Christentum auf Figurationen und Muster, auf Arabesken aus dem islamischen Kulturkreis treffen. Erstaunt darüber, wie nah die islamische Formensprache einem christlich sozialisierten Menschen sein kann, will die Künstlerin dieses Thema weiter verfolgen. In ihren Kompositionen findet sich keine vordergründige interkulturelle Begegnung, sondern finden sich eher verborgene Parallelen, vielleicht verschüttete Dialoge, durchschimmernde Potenziale, aber auch Brüche und

Die spirituellen Inhalte erhalten ihre Entsprechung in der meditativen Formqualität, in den eher introvertiert anmutenden Farbwerten, in dem nach innen gerichteten kompositorischen Aufbau. Die spirituellen Inhalte mögen auch die sakrale Räumlichkeit befördern, die Kerstin Vornmoors Bilder hervorrufen.
Auch der serielle Charakter der Bilder, die Variation und Aneinanderreihung der zeichnerischen Muster schaffen wie ein ornamentales Band, wie Brücken zwischen den einzelnen Bildern eine mächtige Raumbehauptung.

So finden sich bei allen Unterschieden ähnliche Pole und Spannungsfelder bei beiden Künstlerinnen: Gestaltung und Auflösung, Strukturfindung und Formverlust, Spannung zwischen Bild und Raum, Fläche und Tiefe.

Die Formen und die Wahrnehmung selbst bleiben in Bewegung. Eine bodennahe Archäologie des Zeichenhaften korrespondiert mit Reflexion und metaphysischen Ausgriffen. Zufällige Funde verbleiben im Status des nicht Entzifferbaren und Erklärbaren, Spuren von Gesehenem und Geschehen wachsen zu Organismen, Konstrukte und Artefakte, die gegenständliche Welt und ihre Kontrapunkte im Zeichenhaften begegnen sich.