Hängende Gärten                                                                     
Ein Gespräch zwischen Ilka Meyer und Stefan Rabanus

 

Ilka und Stefan joggen durch einen Park. Im Hintergrund hört man leises Verkehrsrauschen, ahnt graue Wohnblocks und backsteinrote Industrieruinen.

Stefan: Ilka, lass uns über Kunst reden, ehe mir die Puste ausgeht. Über Deine Kunst.

Ilka (grinst): O.K.

Stefan: Du willst in Gwangju eine Arbeit mit dem Titel "Hängende Gärten" präsentieren. Das klingt so, als wärest Du frisch dem humanistischen Gymnasium entsprungen. Bist Du ein Mythenfreak?

Ilka: Nein, eigentlich gar nicht.

Stefan: Wie bist Du dann auf diesen Titel gekommen? Was fasziniert Dich an dieser alten Geschichte?

Ilka: Der vollständige Titel lautet ja jetzt "Transplant - Hanging Gardens", aber zuerst gab es den zweiten Teil des Titels, das stimmt. Die Hängenden Gärten fielen mir über einen Umweg ein. Ich hatte viel über die Trockenen Zen-Gärten nachgedacht. Mich fasziniert unglaublich, dass diese Gärten in der Landschaft ein sehr abstrahiertes Bild von einer ganz anderen Landschaft sind, also in unserer Wirklichkeit ein Bild von einer möglichen utopischen Welt darstellen. Das hat hohen imaginären Charakter, wie ich es von europäischen Gärten nicht so kenne. Ich hatte sogar überlegt, ob ich eine Arbeit auf Grundlage dieser Trockenen Gärten mache. Das habe ich aber fallen lassen. Wenn sich als Europäer an ein solches Thema machen will, sollte man mehr wissen, als ich es tue.

Aber in diesem Zusammenhang vielen mir aber die Hängenden Gärten ein, die zu den sieben antiken Weltwundern zählen. Ich mag die Geschichte über die Hängenden Gärten unter anderem auch deshalb sehr, weil nicht einmal hundertprozentig sicher ist, dass es sie wirklich gegeben hat. Trotzdem gehören die Hängenden Gärten zum Schulstoff und zu unserer Wirklichkeit. Es gibt viele Geschichten in unserer Welt, deren Wahrheitsgehalt sehr relativ ist. Aber sie sind da. Bei einer der Entstehungsgeschichten über die Hängenden Gärten heißt es, dass Nebudkadnezar etwa 700 oder 600 v. Chr. diese Gärten im heißen, sandigen und flachen Babylon für seine Frau aus Medes hat anlegen lassen, die ihre grüne, bergige Heimat vermisst hat. Wie es historisch war, spielt für mich keine große Rolle. Wichtig ist, dass hier eine Wirklichkeit nach einem Bild, nach einer Idee entworfen wurde, und diese Geschichte macht das wunderbar klar.

Der Park endet an einem kleinen Platz, wo im Augenblick eine große und laute Baustelle ist. Ein Gabelstapler fährt eine Palette mit Pflastersteinen vorbei. Ilka und Stefan biegen in eine schmale Straße ein, die zwischen hohen Fassaden mit bröckelndem Putz verläuft.

Stefan: Deine Installation besteht aus gigantischen Tragetaschen, die mit Sand und Steinen gefüllt sind. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?

Ilka: So gigantisch sind diese Tragetaschen eigentlich nicht, es sind gängige Steinsäcke, die Steinhändler total normal finden. Aber das Schöne daran ist tatsächlich, dass sie wie übergroße Einkaufstaschen aussehen, was auch im Kontext der Biennale sehr spannend ist. Relativ billige, leichte Plastiktaschen enthalten Steine und Erde, die ja normalerweise irgendwo fest verortet sind. In diesem Fall ist es umgekehrt: Das, was als schwer und ortsbildend gilt, ist tragbar. Auf der anderen Seite hat es architekturalen Charakter: Sie türmen sich wie Häuser neben mir auf. Es ist eigentlich so wie grade hier in dieser Straße.

Stefan (schaut besorgt die Fassaden hinauf): Was mich an diesen Taschen beschäftigt, was mich zum Denken bringt, ist ein merkwürdiges Gefühl der Irrealität, die sie in mir auslösen. Ich kenne ja solche Tragetaschen, von Ikea zum Beispiel, wo ich damit meine Kerzen oder Gläser oder sonstigen Kleinteile zur Kassen trage. Aber Deine Taschen sind ja viel zu groß! Ich könnte sie nie bewegen.

Ilka: Ja, Tragetaschen, die stadtähnlichen Züge annehmen können, finde ich auch sehr bizarr, und sie waren auch für mich, als ich sie bei einem Steinhändler zum ersten Mal gesehen habe, Anlass zum Nachdenken. Die "Big Bags" mit den Steinen sind in der Installation "Transplant - Hanging Gardens" variable Einzelteile, die verschiedene Stellungen erlauben und vielleicht auch gedanklich zu diesem Spiel einladen. Uniformierte Behältnisse, die zum Wegtragen und Austauschen von Dingen bestimmt sind, genau wie bei Ikea, und dabei häuserähnliche Gebilde formen. Das Material der Taschen ist übrigens ziemlich dasselbe wie das der Taschen von Ikea.

Stefan: Sind sie da in der Biennale-Halle nicht irgendwie deplaziert?

Ilka: Sicher. Sie sind dort ein Fremdkörper in vielerlei Hinsicht. Als rohes Industrieprodukt und in ihrer Anmutung als überdimensionierte Einkaufstaschen sind sie vielleicht auch störend. Aber ich finde sie auch sehr schön. Es ist schön, wie diese monströs schweren Inhalte durch die weißen Plastiktaschen leicht und spielerisch werden. Die Installation "Transplant - Hanging Gardens" ist eine unfertige und bewegte, aber in sich abgeschlossenen Welt.

Stefan (winkt einem Stadtstreicher zu, der alle seine Habe in drei Plastiktüten neben sich auf der Bank stehen hat): Das ist ein sehr interessanter Gedanke. Aber ich will noch mal bei den Taschen bleiben: Taschen sind Transportmedien. Was bedeutet der Aspekt des Transports für Deine Arbeiten, wie wichtig ist er?

Ilka: Er ist für mich das Wichtigste überhaupt, er prägt die Gegenwart mehr als alles andere. Ich beziehe das sowohl auf den Transport von Gütern als auch auf den Transport von Ideen. Diese Transportsysteme bilden sich prima in der Welt des Handels ab. Der Handel ist in dieser Sicht auch eine schöne Metapher für unseren Wissensaustausch. Ich finde es faszinierend zu sehen, welche Transportsysteme wir dafür auf allen Ebenen um uns herum aufgebaut haben.

Stefan: Ich weiß, dass Du sehr gerne mit Pflanzen arbeitest...

Ilka: Ja.. Pflanzen sind für mich das interessanteste "Arbeitsmaterial", wenn man so will, für dieses Thema des Transportes. Die bilden nämlich ebenfalls genau das in ihrem Wachstum, Vermehrung und Stoffwechsel in wunderbarer Weise ab. Außerdem kommt bei Pflanzen hinzu, je nachdem, wie man sie anschaut, dass sie hochkünstlich oder super-natürlich sein können. Manchmal braucht man sie nur richtig zu positionieren, um die Artifizialität einer Szenerie in Frage stellen zu lassen. Ich finde ja sowieso, dass Pflanzen sehr abgespaced, sehr seltsam sind.

Stefan: Bei der Installation "Transplant - Hanging Gardens" arbeitest Du ebenfalls mit Industrie-Behältnissen aus Plastik und Pflanzen. Wobei diese Installation weniger grün ist, als zum Beispiel Dein "Pflanzstück", das Du 2003 im Mainzer Zollhafen "zur Aufführung" gebracht hast.

Ilka (weicht einem Löwenzahn aus, der durch das Kopfsteinpflaster der Straße hervordrängt): Aufführung ist gut... Beim Pflanzstück hatten die Pflanzen eine zentrale Rolle. Die Pflanzen haben in ihren Kübeln dort im Zollhafen abgebildet, was an Transport um sie herum passiert. Außerdem ist natürlich auch durch die Höhe der Pflanzen - die meisten waren ja mannshoch und höher - ein Stück Wildnis in dieser streng geordneten Logistik entstanden. Die übrigens stark gerochen hat, ich habe nur Pflanzen mit kräftigen Duftstoffen verwendet. Meine Arbeit für die Gwangju-Biennale hatte ihren Ausgangspunkt ebenfalls wieder in der Idee von Pflanzen, die durch menschliche Hand und Handel verbreitet werden. Ich wollte aber für Gwangju andere Behältnisse, solche, die mit dem Gehen und Kommen auf einer Biennale zu tun haben.

Ilka und Stefan passieren einen Wochenmarkt, wo ihnen die Leute - in den Händen mit Gemüse und Blumen gut gefüllte Tragetaschen - neugierig hinterschauen.

Stefan: Du hast zuvor auch schon einmal den Begriff Einkaufstrubel benutzt. Was hat die Biennale mit Konsumverhalten zu tun?

Ilka: Auf so einer Biennale geht es zu wie im Bienenstock. Oder auf einer Einkaufsmeile. Sehr viele Menschen sind auf der Suche nach etwas, dass sie gerne mitnehmen möchten. Dabei geht alles unheimlich schnell, schon allein, weil es so viele Dinge sind, die da auf einen einströmen. Diesen Taschen eine architekturale Anmutung zu geben und mit schweren Dingen zu füllen, hat mich auch deswegen gereizt. Die Steinsäcke waren mir mal aufgefallen, als ich für meine Videoinstallation "Möwen" bei einem Natursteinhändler Kalksteine gesucht habe. Damals stand ich fasziniert vor und zwischen diesen großen Säcken und habe mich gewundert, wie dieses dünne Plastikgewebe diese schweren Steine halten und auftürmen kann.

Stefan: Ich habe neulich in einer Ausstellung in Wiesbaden zwei Arbeiten von Dir gesehen, die auf den ersten Blick ganz anders sind als "Transplant - Hanging Gardens" und die anderen Pflanzen-Arbeiten. "1001" ist ein riesiges Bild, 360 x 660 cm, auf dem die Störungen dargestellt sind, die beim Kopieren entstehen und bei der man an eine Galaxie erinnert sein kann. "Möwen" ist die Videoinstallation, die Du grade schon angesprochen hast: Dort wird das abstrahierte Bild von schwimmenden und fliegenden Möwen auf eine Kalksteinmauer projiziert. Bist Du jetzt einfach unglaublich vielseitig...

Ilka: Klar! (grinst)

Stefan: ... oder gibt es etwas, was diese Arbeiten verbindet? Einen roten Faden?

Ilka: Der Faden der Ariadne (lacht) - noch ein Mythos! Mir gefällt das Bild des Netzes gut: So empfinde ich meine Arbeit. Oder noch besser: wie das ausgeschiedene Haarknäuel von Katzen, die ihr Fell blank geleckt haben: "Hairballs", so hieß mal eine Arbeit von mir. Wie auch immer. Was alle Arbeiten in der Ausstellung, von der Du sprichst, verbindet, ist im Prinzip leicht zusammengefasst: Es ist ein Fehler, eine Unstimmigkeit, die etwas Neues entstehen lässt. Bei "1001" ist es vielleicht am sichtbarsten, aber die "Ladung" mit ihren heran geflogenen und wuchernden Straßenrandpflanzen und die "Möwen", die ja links und rechts aus den Bruchsteinfugen eines Stückes der Mauer kommen, findet das ähnliche Schema statt. Ich verschiebe oder verrücke Kontexte und lasse Fehler passieren und schaue, was geschieht. Meistens sind es gewöhnliche Dinge, die jedoch in der Arbeit ein ganz neues Gesicht bekommen: Kübel, Kräuter, Kopierfehler. Ich freue mich ich immer, wenn der Betrachter sich quasi sicher wähnt und denkt, er befinde sich in seiner gewohnten Umgebung, aber dadurch, dass etwas ein bisschen anders ist, dass die Szenerie irgendwie verrutscht ist, er irritiert ist und anfängt nachzudenken.

Stefan: Da fällt mir spontan die Szene aus dem Film "Matrix" ein, wo der Held Neo sieht, wie zweimal dieselbe schwarze Katze seinen Weg kreuzt, und daran merkt, dass die Programmierung der Matrix verändert worden ist und seine Gruppe in höchster Gefahr schwebt...

Ilka: Das lässt sich natürlich auch medial prima übertragen. Diese Sprünge und Risse in einer Bewegungsabfolge waren für die Installation Möwen grundlegend, die ja als Punkte oder Linien von einer Spalte über den Stein in die andere flitzten. Wer genau hinschaut, sieht zwar schon, dass es sich um Möwen handelt, aber richtig offensichtlich wird es nur an einer Stelle im Loop, wenn eine der Möwen auffliegt.

Stefan: Dir geht es also um unsere Wahrnehmung. Das ist ja ein ganz grundsätzlicher und sehr theoretischer Punkt, der über die Kunst hinaus in die Philosophie reicht.

Ilka: So theoretisch finde ich das gar nicht. Es geht doch um mein Sehen von der Welt um mich herum. Das ist etwas, was ich jeden Tag mehr oder minder tue. Wie konstituiere ich meine Welt und wie sieht das eigentlich mein Nachbar? Und vor allem: Was fange ich mit den Mitteln und Sinnen an, die mir gegeben sind, meine Welt zu errichten? Mich interessiert, was Wirklichkeit bedeuten kann und wie es dazu kommt. Richtig wichtig finde ich aber vor allem den nächsten Schritt: nicht aufzuhören, diese Wirklichkeit umzubauen, zu erneuern und weiter wachsen zu lassen. Das ist das, wo man staunt, wo man sich interessiert, wo man mit wachen Augen durch die Straßen läuft. Das ist der Punkt, an dem man anfängt, sein Menschsein zu finden und auszubauen. Der Mensch hat die Aufgabe, seine Wirklichkeit ständig neu zu erfinden, weil er gar nicht anders kann.

Die Straße endet vor einem alten, halb verfallenen Fabrikgebäude, das von einer Mauer umgeben ist. Dahinter ahnt man schon das Seeufer. Stefan klettert über die Mauer, Ilka hinterher. Von links kreuzt eine schwarze Katze - und gleich noch eine...

Stefan: Du beschäftigst Dich mit fundamentalen Fragen unseres Wirklichkeitsverständnisses: Braucht man einen Universitätsabschluss, um Deine Kunst goutieren zu können?

Ilka: So schlau wird man durch die Uni auch nicht. Es kommt einfach darauf an, dass man nicht glaubt, alles schon gesehen zu haben und zu kennen - und vor allem, sich damit begnügen zu wollen. Dass man nicht aufhört, immer neu zu sehen!

Stefan: Unter Ästhetik versteht man ja in der Philosophie ursprünglich die Lehre von der Sinneswahrnehmung. Heute wird "ästhetisch" aber landläufig meist mit "schön" gleichgesetzt. Was bedeutet für Dich heute der Begriff der Schönheit in der Kunst? Ich weiß schon, in der modernen Kunst ist das eigentlich keine Kategorie mehr, schon gar keine notwendige. Aber was bedeutet er für Dich persönlich? Ich finde, ein großer Teil der Sachen, die ich von Dir kenne, sind schön. Sie sprechen mich, meine Sinne jedenfalls auf angenehme Weise an.

Ilka: Okay, das waren jetzt eine Menge Dinge, die Du da angesprochen hast. Erst einmal hoffe und will ich natürlich, dass meine Arbeiten "schön" sind. Schön heißt doch vor allem, dass man angezogen ist. Etwas Schönes beinhaltet aber immer auch etwas Störendes, Ungewohntes, auch ein leichtes Grauen zum Beispiel, sonst ist etwas einfach nur langweilig. Du bleibst stehen und schaust es Dir an. Und wenn man es schafft, dass die Leute stehen bleiben, obwohl man eigentlich mit gewohnten Objekten hantiert, ist das doppelt schön. Etwas von Dir fühlt sich zu Hause und wohl, und etwas von Dir fühlt sich sehr fremd und will nichts damit zu tun haben. Das ist schön. Es gibt übrigens nichts Schöneres, als so ein Kraut am Straßenrand. Ich bin manchmal richtig aufgeregt, wenn ich ein neues oder besonderes entdecke. (Ilka deutet auf eine Pflanze, die sich an der Fabrikmauer empor rankt.)

Stefan (schaut, und nimmt dann den Weg ums Gebäude wieder auf): Kommen wir doch noch mal zu Gwangju, dem Ort der Biennale. Du hast "Transplant - Hanging Gardens" speziell für die Gwangju-Biennale geschaffen. Die diesjährige Biennale stellt den Kommunikationsaspekt besonders in den Vordergrund: Kommunikation des Künstlers mit dem Betrachter, aber auch interkulturelle Kommunikation zwischen Asien und dem Westen. Gibt es eine besondere Verbindung Deiner Arbeit zu Gwangju, zu Korea oder überhaupt zu Asien?

Ilka: Mein jüngerer Bruder hat eine ganze Zeit in Taiwan gelebt, ich selbst bin zwei Monate durch China und Asien gereist. Von dem, was ich mitbekommen habe, haben die Menschen dort oft eine ganz andere Einstellung zum Leben. Das ist unglaublich spannend, aber richtig kapiert habe ich es noch nicht. Allerdings ist das auch schwierig, wenn man keine asiatische Sprache spricht. Aber es hilft schon, wenn man einfach mal eine Weile zum Beispiel das andere Essen isst und die Transportmittel benutzt, einkaufen geht. Das ist ein guter Beginn für Kommunikation. Ich selbst würde sehr gerne mehr darüber lernen, was Pflanzen und Gärten, also der Umgang mit Natur und dem Bild darüber, in Korea bedeuten, und diese Biennale ist der Anlass, wo mir das möglich gemacht wird. Ein paar Gedanken und Assoziationen darüber sind bereits in die Arbeit "Transplant - Hanging Gardens" geflossen. An einem Ort in Europa wäre die Arbeit in dieser Form mit Sicherheit nicht entstanden.

Stefan (am Ufer): Danke für das Gespräch.

 


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Dr. Stefan Rabanus
Professor (professore associato) für deutsche Sprachwissenschaft am Institut für Fremdsprachenphilologie der Universität Verona

www.stefan.rabanus.com

 
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